Grande Dame mit warnender Stimme

Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde, mit ihren Gedanken über ihre Kindheit in Nazi-Deutschland und das Deutsche Judentum in der Gegenwart

„Die Zeit der Zeitzeugen geht unabänderlich zu Ende“. Charlotte Konbloch hält nur kurz inne, dann fährt die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern mit warnender Stimme fort: „Es darf kein Vakuum bleiben“. Im Rahmen der Roter Salon-Gespräche im Kloster Raitenhaslach erklärte die 91-Jährige nachdrücklich, sie sehe es als ihre Aufgabe, der deutschen Gesellschaft ins Bewusstsein zu rufen, dass es vor der derzeitigen Demokratie eine andere Zeit gegeben habe, die im Abgrund geendet habe.

Etwa 100 Besucher waren der öffentlichen Einladung der Stadt Burghausen am Sonntag, 16. Juli 2023, gefolgt, um das Gespräch mit Charlotte Knobloch zu verfolgen. Wegen des großen Interesses des Publikums fand die Veranstaltung in der Aula major des ehemaligen Zisterzienser Kloster, dem heutigen Akademie-Zentrum der TU München statt. Die Gäste erfuhren von Charlotte Knobloch, dass sie sich darüber freue, wenn sich heutige Schüler viel mehr für die Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit interessierten als noch vor einigen Jahren. „Das ist positiv!“

Anschließend erläuterte die gebürtige Münchnerin das der Begriff „jüdisches Leben“ eher unglücklich sei, weil es eine Vielfalt an jüdischen Gemeinden gäbe, die sich durchaus voneinander unterschieden, beispielsweise wären da die Kontinent-Flüchtlinge aus dem osteuropäischen Raum oder jüdische Amerikaner und Israelis, die sich aus beruflichen Gründen in Deutschland niedergelassen hätten. Allen gemein sei aber das Bewusstsein, Jude in Deutschland zu sein. Charlotte Knobloch vermeidet das Wort Jude – „in meiner Kindheit, erinnert sie mit klarer Stimme, „war dieser Begriff ein Schimpfwort“. Mit voller Absicht verwendet sie stattdessen den Halbsatz „Deutsches Judentum der Gegenwart“.

Als sie von ihrer Kindheit spricht, wird es in der Aula major ganz still. „Mein Überleben habe ich einer befreundeten katholischen Familie in Franken zu verdanken, die selbst große Gefahren auf sich genommen hat“, erzählt sie sachlich. Nach dem Krieg hab sie Deutschland so schnell wie möglich verlassen wollen. Nach München zurückzukehren, wo die Vergangenheit ausgelöscht schien, wäre unsäglich gewesen. Letztendlich aber ist sie geblieben. „Aber es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich München wieder als meine Heimat bezeichnen konnte“, schildert Charlotte Knobloch.

Ein nachdrücklicher Appell die Demokratie zu verteidigen

Das Wiederaufflackern des Antisemitismus in der heutigen Zeit bereitet der Kultuspräsidentin große Sorgen: „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als einen normalen Umgang verschiedener Kulturen miteinander“. Sowohl in ihrem Vortrag als auch im Gespräch mit Sabina Wolf, die durch die Veranstaltung führte, war ihr Appell nicht zu überhören: „Juden sind vielleicht wieder die ersten Opfer, aber sicher nicht die letzten!“ Als deutscher Bürger müsse man zu Deutschland stehen, patriotisch und wachsam sein und die errungene Demokratie verteidigen, „die mir aktuell sehr fragil erscheint“.

Eine ausführliche Fragerunde drehte sich nach dem Vortrag der Präsidentin unter anderem um Hass und Hetze im Netz, aber auch um die Gesetzestafeln, die erst im Juli dieses Jahres an der Isar gefunden worden sind und die als Überreste der Hauptsynagoge in München identifiziert werden konnten. Am Ende waren sich die Gäste dieses beeindruckenden Gesprächs einig: „Charlotte Knobloch ist eine souveräne, sachliche und unbeirrbare Kämpferin für die jüdische Kultur in Deutschland – eine wirklich überragende Persönlichkeit“. Die Stadt Burghausen könne wirklich stolz darauf sein, eine Grande Dame wie sie hier gehabt und gehört zu haben.

 

BU:

Nachhaltige Wirkung einer starken Frau: Charlotte Knobloch beeindruckte im Roten Salon-Gespräch mit ihren Einsatz für die jüdische Kultur. Die Botschafterin für de jüdische Kultur in Deutschland trug sich nach ihrem Vortrag ins Goldene Buch der Stadt Burghausen ein